Eins vorweg, um das gleich klar zu stellen. Ja, ich stehe hinter den Open Data Prinzipien, hinter der grundlegenden Idee. Auch für mich ist Open Data neben weiteren Aspekten essentiell für Transparenz staatlichen Handelns und diese Transparenz ist wiederum essentiell für kompetente Partizipation auf Augenhöhe.
Vor diesem Hintergrund also denke ich, dass der Sturm der Entrüstung, der in dieser Woche in Bezug auf das GovData Portal (formerly known as Open Data Portal) losgebrochen ist, ein ausgesprochen kontraproduktiver Rückschlag für die Bemühungen um Open Data in der deutschen Verwaltung sein kann.
Auch wenn ich es an anderer Stelle schon erwähnt habe:
Wir leben in Deutschland in einem föderalen System (Artikel 20 Grundgesetz). Der Bund hat gegenüber den Ländern nur sehr eng definierte Gestaltungsrechte, die Ausgestaltung der Länder- und Kommunalverwaltung gehört nicht dazu. Der Bund kann weder Ländern noch Kommunen Anweisungen geben, doch gefälligst Open Data – am besten auch noch gemäß der reinen Lehre – bereitzustellen.
Außerdem steht das Ressortprinzip im Artikel 65 des Grundgesetzes. Dieser gibt jedem Minister das verfassungsmäßige Recht, die Angelegenheiten in seinem Geschäftsbereich selbstständig und in eigener Verantwortung zu regeln. Es gibt keine Stelle in der Bundesregierung, die gegenüber einem Ministerium die Bereitstellung von Open Data – am besten auch noch gemäß der reinen Lehre – anweisen kann. Entsprechendes steht auch in den Verfassungen der Länder.
Auf und zwischen jeder föderalen Ebene funktioniert Zusammenarbeit nur mit Einsicht und im Konsens (und ggf. Finanzierungszusagen).
Wer ein bisschen Einblick hat weiß zudem, dass es natürliche Antagonismen zwischen verschiedenen Ministerien gibt. Die „der/des“ Ministerien (z.B. Ministerium DER Justiz) sind „etwas besseres“ als die „für“ Ministerien (z.B. Ministerium FÜR Gesundheit), das Auswärtige Amt fühlt sich gleich als eine andere Kaste, deswegen heißt es ja auch als einziges nicht „Ministerium“. Das Bundesministerium der Finanzen ist was ganz besonderes, weil es auf dem Haushalt sitzt und zwischen Innen- und Wirtschaftsministerium gibt es eine liebevoll gepflegte strukturelle Feindschaft, die auch völlig unabhängig von den Parteifarben irgendwelcher Minister fortbesteht. Und das Ministerium der Verteidigung macht eh’ sein eigenes Ding.
Erst vor wenigen Jahren hat sich auf der Bundesebene in diesem Panoptikum ein „Rat der IT-Beauftragten“ zusammen gefunden, zwischen dem Bund und den Ländern gibt es nach der letzten Föderalismusreform den IT-Planungsrat, in dem der Bund zumindest Sperrminorität hat. Es gibt jetzt eine bessere Koordinierung, weiterhin gilt aber eher: Ohne freiwilligen Konsens passiert gar nichts.
Die deutsche Verwaltung ist zudem seit ein paar hundert Jahren darauf konditioniert, möglichst fehlerfrei eine ordnungsgemäße Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen zu gewährleisten. Das ist die erste, zweite und dritte Priorität und das ist auch der Grund, warum die deutsche Verwaltungselite fast ausschließlich aus Juristen besteht. Wenn man Juristen nun eines nicht vorwerfen kann, dann einen übertriebenen Hang zum Experimentieren und zu Innovationen.
Damit immer noch nicht genug: Wir haben eine schwarz-gelbe Bundesregierung, viele rot-grüne oder rot-rote Landesregierungen und ein politisch buntes Mosaik von Rathäusern. Selbst wenn plötzlich rational überall das Licht der Erkenntnis und Einsicht der Offenheit erstrahlen sollte, stehen einem Konsens zu einem gemeinsamen Vorgehen häufig sachfremde politische Erwägungen im Weg. Der CIO einer rot-grünen Landesregierung wird sich zweimal überlegen (oder überlegt bekommen), ob er einem schwarz-gelben Regierungsprogramm zum Erfolg verhilft. Und sobald es um Fachlichkeiten jenseits der reinen IT geht, also zum Beispiel um den Umgang mit Umwelt-, Haushalts- oder Bildungsdaten, haben die CIOs im IT Planungsrat eh nichts mehr zu melden, dann übernehmen die Fachminister das Denken…
In diesem strukturellen Minenfeld haben sich nun – ohne wirkliches, breit gestütztes politisches Mandat – vor ein paar Jahren einige kleine „revolutionäre Zellen“ von mutigen Verwaltungsmenschen in Bund, Ländern und einigen Kommunen nach vorne gewagt, um dieses „Abenteuer Openness“ anzugehen und sich auf Einbeziehung der Zivilgesellschaft und Open Data einzulassen. Es ist inzwischen gelungen, die Grundprinzipien in einem Regierungsprogramm der Bundesregierung und der Nationalen E-Government Strategie zu verankern. Aber machen wir uns nichts vor, das sind noch ganz zarte Pflänzchen, die weitgehend unbeobachtet auf der Wiese des Ungefähren blühen und die jetzt mit dem GovData Portal konkretisiert werden sollen. Es gibt niemanden, der die breite Umsetzung und Beteiligung an Open Data unter Beachtung idealer Prinzipien anordnen kann. Alle, die mitmachen sollen, müssen zunächst überzeugt, gewonnen und abgeholt werden. Das GovData Portal ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, auch wenn dabei Kompromisse gemacht werden müssen, um Ängste und Unsicherheiten in weiten Teilen der Verwaltung nicht zu Blockaden werden zu lassen.
Allen, die sich im Thema Open Government / Open Data tummeln, auch mir, geht es viel zu langsam voran. In weiten Teilen der Politik und Verwaltung gibt es noch viel Desinteresse, über Widerstände kann man sich schon freuen, dann ist das Thema wenigstens diskutierbar. Aber es stellt sich vor dem Hintergrund der beschriebenen Situation schon die Frage, mit welcher Geschwindigkeit tiefgreifende Veränderungen wirklich erwartet werden können.
Ist es realistisch, dass wir freundlichen Damen und Herren der Open Government Gemeinde nur mal eben mit den Marmortafeln der 10 Open Data Gebote an die Tür klopfen und dann schlagartig, flächendeckend und idealtypisch eine neue Verwaltungskultur haben und der Teufel des Amtsgeheimnisses vom Erzengel der Transparenz vertrieben ist?
Fallen wir jetzt nicht grade der allgemeinen Skandalisierungseuphorie zum Opfer? [Update #AufschreiOpenGov? Verwendung übertrieben, lenkt vom eigentlichen Thema ab] Open Government und Open Data müssen ganz sicher international gedacht werden und anerkannte offene Standards bedienen, auch im Hinblick auf Lizensierungsmodelle. Aber können wir uns dem Idealzustand nicht in Schritten nähern? Ist es notwendig, den „OpenGov Portal Skandal“ gleich und initial über die internationalen Communities spielen? Kann man machen, aber ich zweifele daran, dass das den Dialog zwischen den deutschen Verwaltungshierarchien und unseren Community-Heterarchien konstruktiv befördert.
Sind Form und Inhalt der gegenwärtigen Kommunikation ein geeigneter Beitrag zu einem erforderlichen Change Management, das in einem hochkomplexen System Widerstände auflöst anstatt neue zu provozieren? Oder ist sind sie eher als Schocktherapie gedacht, um jetzt mit dem Dampfhammer endlich mal die nötige Einsicht in die verbohrten Köpfe zu prügeln?
Ich fürchte, das Ergebnis könnte eher einer frontalen Lobotomie gleichkommen, nach der der störrische und verhaltensauffällige Patient nur noch apathisch in der Ecke sitzt.
Welcher wohlmeinende Verwaltungsbeamte oder –angestellte, der sich eigentlich für mehr Offenheit, Transparenz und Partizipation engagieren will, wird sich demnächst noch ohne Angst auf das Thema Open Government und eine informelle Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft einlassen, wenn bei Schritten und Ergebnissen, die nicht sofort und vollständig den dogmatischen Maximalansprüchen unserer Communities genügen, unmittelbar der Shitstorm droht und die eigene Hausleitung blamiert wird, wahrscheinlich auch noch gleich international?
Ich hoffe sehr, ich irre mich in meiner subjektiven Bewertung und der Sturm der Entrüstung über das vermeintliche Desaster des GovData Portals war nicht ein großer Bärendienst für das Open Government in Deutschland.
Wir sollten mit etwas mehr Gelassenheit an die Bewertung des GovData Portals gehen, die Willigen ermutigen und bestärken, mehr zu wagen. Sehen wir uns doch erst einmal an, wie es auf GovData oder in Hamburg, Köln, Bremen, Berlin oder Bonn wirklich funktioniert, hinterfragen wir konkrete, zu eng lizensierte Daten und feiern wir den Nutzen von frei lizensierten Open Data an konkreten Beispielen, die sich auf dem kommenden GovData Portal sicher auch finden werden.